Padjelanta/Lappland
Fortsetzung
von: Padjelanta 1
Unterwegs
in der Morgenröte
Autsch,
das hätte ins Auge gehen können. In meiner Schönwettereuphorie
habe ich übersehen, dass die Bohlen total vereist sind und
es reisst mir die Füsse weg. Zum Glück hat der Rucksack
meinen Sturz aufgefangen und ich bin weich gelandet.
Die
Morgenröte taucht die Berge in ein zauberhaftes Licht. Langsam
nur schiebt sich die Sonne am Horizont herauf. Es ist total windstill
und die Seen liegen da wie Spiegel. Die halbe Bergeshöhe ist
voll Rauhreif und glänzt wie von Diamanten übersät,
als die Sonnenstrahlen zögernd auf sie fallen.
von
Eduard Nöstl
Ich halte
mich auf dem alten Weg, umgehe also die Bohlen. Ein Bergsee liegt
neben dem anderen. Es ist fast unbeschreiblich schön. Der Weg
führt mitten durch über eine Hochebene und ich bin wirklich
froh und dankbar, dass dieser herrliche Winkel Schwedens zum Nationalpark
erklärt wurde.
Die
letzten Kilometer nach Staloluokta sind durch Birken und Moos gekennzeichnet,
also recht feucht zu wandern. Wieder bin ich froh, der Gelsenplage
des Sommers entgangen zu sein. Der Herbst ist und bleibt die beste
Wanderzeit! Das macht sich auch an der Beschaffenheit der Besucher
bemerkbar. Sind im Juli fast nur Schweden unterwegs, so haben sich
jetzt im September zu achtzig Prozent Deutsche in den Hüttenbüchern
verewigt.
Drei
Stunden bin ich von Arasluokta bis hierher gewandert und ehe ich
runter zu den Hütten Staloluoktas gehe, will ich mir die Kirchenkate
anschauen. Die ist wirklich interessant gebaut. Von aussen wirkt
sie ziemlich unscheinbar, aber der Standort ist gut gewählt,
da sie die ganze Siedlung überschaut und von überall gut
sichtbar ist. Die Kirche besteht aus eng aneinandergepressten Holzknüppeln,
die aussen kunstvoll mit Torf abgedeckt sind. Innen drinnen wurde
der Boden mit wohlriechenden Sträuchern ausgelegt. Auch der
Altar und die kleine Kanzel sind aus Holz geschnitzt. Die Fenster
bestehen aus schönem farbigen Bleiglas. Ein schnelles Vaterunser,
dann will ich jausnen.
Vom
Drang nach Süssem
Staloluokta
muss im Sommer vor Menschen fiebern. Hierher fliegen die Hubschrauber
von Kvikkjokk für alle, die nur den halben Weg gehen wollen.
Auch die Samen haben ein ziemlich grosses Dorf und überhaupt
kann ich mir vorstellen, dass es sich hier abspielt.
Heute
ist es ruhig. Ich wiege meinen Rucksack, sechzehn Kilo, passt, mehr
braucht man wirklich nicht und bis jetzt habe ich meine Winterausrüstung,
die ich zur Vorsicht mitgenommen habe, umsonst spazieren getragen.
In
der Hütte hat jemand ein grosses Glas Aprikosenmarmelade und
ein Säckchen Müsli stehen gelassen und ich kann endlich
meinem heissen Wunsch nach etwas Süssem genüge tun. Ansonsten
ist nicht viel zu Stalo zu sagen.
Linné,
Wahlenberg, Laestadius, Selander und Rune, also alle grossen schwedischen
Naturforscher haben sich hierher aufgemacht, was in Anbetracht der
nicht unbeträchtlichen Strapazen eine anzuerkennende Leistung
ausmacht.
Ich
lasse noch einmal den Blick über den Virihaure schweifen, der
mit seinen 108 Quadratkilometern und 135 Meter Tiefe einer der grösseren
Seen Schwedens ist. Leider bin ich mir nicht bewusst, dass sich
nur zwei Tage nach meinem Aufbruch am Jokkokaska, dem Verbindungsfluss
zwischen den beiden Seen, eine Tragödie abspielen wird, die
ich in der Extraausgabe bereits beschrieben habe.
Nach
Kvikkjokk sind es 81 km, nach Tuottar 19 km nach Arasluokta 12 km.
Bereits um zehn Uhr dreissig schultere ich meinen Rucksack wieder
und mache mich auf zur wichtigsten und für mich interessantesten
Etappe, weil sie auf über tausend Meter hinaufführt. Nach
Tuottar, der höchstgelegenen Hütte auf dieser Tour.
Gleich
hinter der Hängebrücke über den Keddejåkkå
beginnt der Pfad und biegt links ab. Hinter dem Luoppalsee stehen
die Gipfel des Sarek wie eine Mauer am Horizont. Nach einer halben
Stunde stehe ich vor einer Weggabelung: rechts geht's nach Staddajåkk,
links zum Tuottar.
Im
Garten Eden
Von
der Anhöhe hat man noch einen Superblick auf den Virihaure
und in die andere Richtung bildet der Zufluss des Luoppal einen
schönen Wasserfall. Die Birken haben hier ihre Blätter
noch nicht verloren, sondern leuchten in schönstem goldgelb.
Bereits
nach einer halben Stunde kommt die erste richtige Furt auf dieser
Wanderung, sie resultiert in einem nassen Schuh, doch hält
das "Snoseal", eine amerikanische Schuhcreme, mit der
ich meine Bergschuhe ausgiebigst bearbeitet habe, was die Verpackung
verspricht. Völlig trockenen Fusses erreiche ich das andere
Ufer.
Hier
ist es leicht und schön zu gehen auf einem Sandrücken
und durch offenes Gelände. Plötzlich tut sich ein kleiner
Kessel auf und darin ist alles grün - moosig und das Gras sieht
so richtig saftig und üppig aus. Des Rätsels Lösung
ist bald entdeckt. Der Kessel hat hier ein Biotop entstehen lassen,
das durch ein paar kleine Bächlein gespeist wird, und geschützt
von den Kesselwänden entstand ein eigenes Klima.
Weiter
geht es über ein typisches Hochplateau. Seen wohin das Auge
blickt und die Sarekgipfel kommen immer näher. Der Pfad steigt
an und auch um mich herum werden die Berge immer höher. Der
Weg führt kurz, vielleicht fünfzehn Minuten durch ein
Weidengestrüpp, von Ferne dröhnt ein Fluss.
Am
Fluss ist eine Behelfsbrücke errichtet, die den nächsten
Winter garantiert nicht überleben wird. Hinter der Brücke
rauscht rechts ein Wasserfall und hier sind auch die Pfeiler der
weggerissenen Brücke zu sehen.
Um
michherum tut sich ein wahrer Garten Eden auf. Schneeflecken auf
den umliegenden Hängen, Ruhe, Stille, Einsamkeit. Fast zu einsam.
Zum ersten Mal fühle ich mich auf dieser Wanderung ziemlich
klein.
Es
wird alpin
Der
Weg steigt und steigt und steigt. Doch angenehm zu wandern. Dennoch,
ich kann mir vorstellen, dass dieser Abschnitt bei Nebel nicht jedermanns
Sache ist. Auch die Wasserversorgung lässt etwas zu wünschen
übrig auf diesem Wegabschnitt. Nur von Ferne her glänzen
die Wasserfälle und die Bachbette. Die Farben braun-weiss dominieren.
Und Milchquarzsteine gibt es jede Menge.
Um
halb zwei sind es noch neun Kilometer nach Tuottar. Mir kommt es
recht alpin vor, Steine und Felsen beherrschen die Landschaft, und
der Wind pfeift jetzt auch ganz schön um die Ohren. Nicht dass
es kalt wäre oder sonstwie beunruhigend, aber zu den perfekten
Bedingungen der letzten beiden Tage - und auch des heutigen - macht
sich in dieser Höhe die schlummernde Kraft und Gewalt der Natur
spürbar bemerkbar und es lässt sich erahnen, dass wir
Menschen in dieser Gegend eigentlich nur geduldet sind.
Nach
weiteren eineinhalb Stunden ist Land (Hütte) in Sicht. Doch
der Schein trügt - ein grosser See versperrt den Weg und es
heisst, den kleinen Fluss entlangmarschieren. Die Hütte liegt
die ganze Zeit zum Greifen nahe!
Ganze
zwei Furten sind noch als Bewährungsprobe zu schaffen, ehe
die letzte Steigung zu den Hütten führt. Hier treffe ich
denn auch den einzigen Wanderer auf dieser Tour. Ein junger Deutscher,
der mich freundlich, aber unmissverständlich darauf hinweist,
dass noch eine weitere Hütte offen ist, als ich versehentlich
die Tür zu "seiner" Hütte aufmache.
Die
Seele der Erde hat blaue Augen
Ich
habe Glück - die Aussicht von dieser "meiner " Hütte,
schlägt alles, was ich bisher gesehen habe: wie glänzende
Perlen liegen genau vor dem Hüttenfenster drei tiefblaue Bergseen
einem Fjord gleich in der Senke. Es ist dermassen schön, dass
es mir den Atem verschlägt. Trotzdem ich ziemlich geschafft
bin, stehe ich und geniesse.
Tuottar
ist für mich bis jetzt der absolute Höhepunkt dieser Wanderung.
Hier möchte ich bleiben und als Eremit ein Teil der Landschaft
werden. Die Gedanken, die in dieser Umgebung geboren werden, können
nur eins sein mit dem Sinn der Schöpfung. Frei sein bedeutet
entsagen können. Allem was nicht unbedingt notwendig ist. Also
eigentlich allem, von dem wir uns einbilden, dass wir zum Leben
unbedingt an materiellen Gütern brauchen.
Die
Nähe zum Himmel ist es, die uns wirklich reich macht. Die Natur
mit ihrem Reichtum an Farben und Formen, ihrem nie versiegenden
Gestaltungswillen und der unendlichen Kraft ihrer Kreativität,
die allen Dingen eigen ist. Wir müssen sie nur erkennen lernen.
Das
ist der Vorteil, wenn du alleine unterwegs bist. Du kannst dich
selber kennenlernen, lernst deinen ureigensten Gedanken zu lauschen
und musst dich selber akzeptieren, freust dich über deinen
Schatz an Gedanken, der in der Stadt im allgemeinen Stimmengewirr
untergeht und verdorrt. Hier heroben mit dem Blick auf die karge
Natur, die doch immer wieder von neuem zum Leben erwacht, kannst
du auch deine Ideen spriessen lassen und lernst die wirklich wichtigen
Dinge des Lebens schätzen.
Ewigkeit,
Achtung vor allem, was da ist, Liebe, bedingt durch Einsamkeit und
Zeitlosigkeit, werden plötzlich Begriffe, mit denen du dich
auseinandersetzt.
Ohne
Essen keine Kraft zum Denken
In
dieser Hütte ist denn auch endlich eine Gebrauchsanweisung
für den Gaskocher angeschlagen und ich beginne den Mechanismus
zu verstehen. Dennoch bleibe ich meiner alten Gewohnheit treu und
bereite mir meine Suppe in meinem eigenen Kochtopf zu. Schön
langsam hängen mir meine Suppen zum Hals raus.
Ich
mache mir in Ermangelung von etwas besserem eine Liste, was ich
das nächste Mal unbedingt zum Essen mitnehmen will: 3 Scheiben
Brot pro Tag, Butter, Speck und Schinken, Müsli, Marmelade
(im Plastikbecher), 2 Suppen/Tag, Käse fürs Frühstück,
Tee (kein Nescafe), oder Kakao. Als eiserne Reserve drei Fischkonserven.
Das klingt zwar sehr lukullisch, aber bei weniger, so wie ich es
jetzt probiert habe, nimmt die Wanderung den Charakter einer Wallfahrt
an, was zwar kein Fehler ist, aber vielleicht doch die Freude etwas
beeinträchtigt, wenn sich die Phantasie allzu ausgiebig mit
Nahrungsmitteln zu beschäftigen beginnt.
Mit
meiner sonstigen Ausrüstung bin ich diesmal recht zufrieden.
Bis auf die Filme, die ich an der Tankstelle erstehen musste und
die daher ein richtiges Sammelsurium von 400 ASA, 200 ASA und verschiedensten
Marken bilden. Auch der Fotoapparat hat bis jetzt immer funktioniert.
Aspirin
ist gut, wenn die Muskelschmerzen allzu gross sind, Pflaster für
Blasen an den Füssen habe ich mit, brauche ich aber nur für
die Zehen, Muskelgel und elastische Binde ist sicher beim Fall der
Fälle von Vorteil, da kann auch eine kleine Schere gute Dienste
leisten.
Vom
Mitschleppen von alkoholischen Getränken halte ich nichts.
Ich
trinke auch zu Hause nicht, warum dann auf einer Wanderung. Und
wenn etwas passiert, dann ist es erst recht gut, einen klaren Kopf
zu behalten. Kompass und Karte ist auch wichtig, Klopapier gibt
es in den Hütten. Sonnenbrillen, Kopftuch oder Schirmmütze
sind gut, wenn die Sonne herunterbrennt. Gummiringe oder weichen,
dünnen Draht zum Verschliessen der diversen Essensbeutel.
Schneefelder
blinken von Ferne her
Am
nächsten Tag stelle ich mich sofort nach dem Aufstehen ans
Fenster und schaue hinunter über die drei Seen. Täusche
ich mich oder liegt eine ganz dünne Eisschicht? Ein Blick aufs
Thermometer sagt mir, dass die Eisschicht keine Einbildung ist.
Minusgrade sind angesagt.
Heute
kann ich mich erholen, die Zeit der Gewaltmärsche ist vorbei,
daher starte ich erst um acht Uhr. Tuottar bedeutet "weites
Gebirge" und beim Marschieren ist diese Bezeichnung wirklich
angebracht. Du kommst dir wirklich klein vor hier heroben. Die Gegend
ist einfach enorm. Alles ist so weit weg. Nur die Seen sind nahe.
Unzählige kleinere und grössere Bergseen, die alle daliegen
wie Augen der Seele von Gaja.
Eine
kleinere Furt reisst mich aus meiner Beschaulichkeit, dann höre
ich ein mir inzwischen wohlbekanntes Grunzen - ein versprengtes
Schöpplein Rentiere, ausnehmend schöne, wohlgenährte
Tiere, sind unterwegs und schimpfen hinter mir her.
Zwei
tolle Sarekgipfel tun sich vor meinem Weg auf, leider sind sie in
Wolken. Nach Passieren des höchsten Punktes der Wanderung öffnet
sich der Blick ins Tal und auf einen weiten, mäandernden Fluss,
des Tarratals. Das, was ich fälschlich für Terrassen halte,
entpuppt sich beim Näherkommen als Hütten! Schon bin ich
bei den Tarraluoppalhütten angekommen.
Erstaunlich,
wie tief sich der Fluss eingegraben hat. Die Hütten liegen
auf einem Schwemmkegel, Schneefelder blinken von ferne her. Vor
der Hütte hat ein Füchslein seine Losung hinterlassen.
Ich bleibe eine Stunde hier und sehe mir die Gegend an. Schon merkt
man, dass die Höhenlage anders ist. Das Umfeld der Hütte
wird beherrscht vom Fluss und das Tal ist weit und fruchtbar.
Nach
einer kleinen Furt verliert sich der Weg noch tiefer ins Tal. Die
Birken werden stärker, das Weidengestrüpp ist zum Teil
mannshoch. Das Tal ist vielleicht fünf Kilometer breit und
entweder bin ich schön langsam mit meinen Kräften am Ende
oder mir gefällt es im Gebirge besser - irgendwie ödet
mich die Gegend an.
Weiter
geht es durch den Birkenwald, dann lange Strecken auf Bohlen und
immer wieder schöne Rastplätze mit Blick übers Tarratal.
Eine Müslijause am Bächlein muntert mich wieder ein wenig
auf. Die Sonne scheint, aber nicht mehr so stark wie in den letzten
Tagen. Schönwetterwolken ziehen über den Himmel.
Um
vierzehn Uhr komme ich zu einer Schautafel über den Padjelanta:
198.400 ha, davon 1400 ha Birkenwald, 1400 ha Gletscher, 1000 ha
Moore, 32.300 ha Waldfläche. Vögel gibt es gerade genug:
Bergente, Krickente, Odinshühnchen, Wiesenpieper, Goldregenpfeifer,
Steinmätzer, Rauhfussbussard, Raubmöve, Steinadler, Gerfalke.
An Pflanzen gibt es Fingerkraut, Goldenzian, Sandkraut, Alpenrose
und Glockenblume. Der Jeknaffo ist der höchste Berg (1.837
m) und der Ålmåijekna ist einer der grössten Gletscher
des Landes.
Endlich
Holz hacken
Nach
einer Stunde führt der Weg ganz nah an den Fluss heran und
schon eine Viertelstunde später kann ich es mir in der Hütte
bequem machen. Doch hier merke ich wie schnell man Luxus gewohnt
wird: Das ist die erste STF Hütte, ade Gasolheizung, ade Trockenraum,
ade Gaskocher. Jetzt heisst es erst einmal Holz machen, einheizen,
die Kleider über dem Ofen aufhängen. Richtig primitiv.
Die
Holzhütte liegt vielleicht zehn Meter von der Hütte entfernt
und alles, was man zum Holzmachen braucht ist da: Ein Holzbock,
eine gute Säge, eine scharfgeschliffene Axt und der Hüttenwirt
hat auch genau angegeben, welcher Holzstoss zuerst zu bearbeiten
ist. Also los! Sägen, dann spalten und aufschlichten. Das Lustige
am Holzhacken ist, dass man sofort belohnt wird für ein bisschen
Mühe.
Der
Haufen wächst und damit das gute Gefühl, etwas geleistet
zu haben. Nach eineinhalb Stunden denke ich mir habe ich genug getan
und ich gehe zurück in die Hütte. Gerade als ich mein
Süpplein löffle, geht die Tür auf und ein schlanker
Mann, lange Haare, Bart, mit offenem und freundlichem Lachen, kommt
herein.
Kaiserin,
Königin und Knecht
Inzwischen
weiss ich schon, dass um diese Zeit nur mehr Deutsche unterwegs
sind, und daher begrüssen wir uns gleich auf deutsch. Hinter
ihm tritt eine grossgewachsene, elegante, dunkelhaarige Frau ein
und zwischen den beiden drängt sich ein Hund durch die Tür
und läuft gleich zielstrebig zum Trinkwasserkübel um seinen
Durst zu stillen.
"Ich
bin Fum, das ist Patricia und der Hund heisst Rejna," stellen
sich die Neuankömmlinge vor. "Rejna ist portugiesisch
und bedeutet Königin, Patricia ist die Kaiserin und ich, tja,
ich bin der Knecht." Fein, Leute mit Humor. Ist ja nett. Die
beiden machen sich ohne Umschweife ans Essenkochen und ich gehe
vor die Hütte um die Gegend zu erkunden.
Am
Ufer des Flusses liegt ein Boot vertäut, dessen Aufgabe im
Brückenersatz liegt. Ein Strick ist über den Fluss gespannt,
im Boot befindet sich ein kleines Rädchen und so kann sich
jeder, der mal schnell ans andere Ufer will, selber hinüberziehen.
Auf
der anderen Seite sind sehr schöne Zeltplätze, wo auch
dementsprechend viele Besucher ihr Zelt aufschlagen nach den vielen
Feuerstellen zu schliessen. Sonst gibt es gibt es nicht allzuviel
zu sehen, daher fahre ich wieder über den Fluss zurück
und setze mich in die Küche zu den beiden Neuankömmlingen.
Taiga
Rescue Project
Da
erfahre ich, dass Patricia in Jokkmokk beim "Taiga Rescue Project"
beschäftigt ist, das ist eine non-governmental Organisation,
die sich den Schutz der Taiga und somit auch des nordschwedischen
Waldes zur Aufgabe gemacht hat. Es ist schon toll, was Idealismus
ausrichten kann. Direkt weltumspannend ist die Organisation und
hat weder eine Regierung, noch die UNO, oder sonst eine offizielle
Stelle hinter sich.
Fum
und Patricia kommen wie viele Leute, die sich ernsthafte Gedanken
um das Wohlergehen unserer Welt machen, aus der Grosstadt, die beiden
wohnen in Hamburg. Weil wir gerade beim Naturschutz und den vielen
Möglichkeiten sind, die noch unentdeckt sind, so unterhalten
wir uns des langen und des breiten darüber, was man alles mit
der Elchlosung anstellen kann. Das sind die an Ostereier gemahnenden
Kugeln, die haufenweise überall herumliegen. Bio-Brennstoff,
Souvenir, Ohrschmuck, sind nur einige Produkte, die unserer Meinung
nach ihrer Entdeckung harren.
Inzwischen
geht der Mond auf, wir haben Vollmond, trockener Kommentar von Fam:
"Da werden die Elche aber durch die Wälder toben".
Die beiden waren menschlich gesehen die absolute Bereicherung dieser
Tour. Sympathisch und weltoffen und mit einer ordentlichen Portion
Idealismus und Humor ausgerüstet. Ich halte Fam für einen
Karikaturisten oder sonstwie künstlerisch tätig und falle
aus allen Wolken, als er mir seinen Beruf verrät: "Eigentlich
bin ich gelernter Rechtsanwalt, aber ich setze meine Kenntnisse
für Greenpeace ein".
Am
nächsten Tag krieche ich schon früh aus den Federn, die
beiden schlafen noch und mache mich im Morgengrauen auf den Weg.
Diese Eile ist nicht ganz ohne Grund. Fam hat erzählt, dass
ganz in der Nähe eine Elchkuh mit ihrem Kalb umherstreift und
da ich auf dieser Tour noch keinen Elch aufs Foto bannen konnte,
denke ich mir, die einzige Chance besteht in aller Herrgottsfrühe.
Und siehe da, was passiert, als ich um die erste Ecke schreite:
die beiden Elche stehen da im Halbnebel. Passt.
Die
beiden Elche verschwinden nach diesem Intermezzo ebenso unhörbar
wie sie aufgetaucht sind. Ein paar hundert Meter weiter steht ein
rotes Zelt neben dem Weg. Aha, man merkt, dass ich mich wieder bewohnten
Gegenden nähere. Nur schade, dass die Leute nicht weiter vorstossen,
denn dieser Abschnitt gefällt mir eigentlich nicht besonders.
Daran sind wohl die vielen Steine schuld, die den Weg extrem beschwerlich
machen. Auch einige ausgetrocknete mit Geröll gefüllte
Bachbetten machen das Vorankommen nicht gerade einfacher.
Meine
Bewunderung für Linné und die anderen Wissenschaftler
wächst mit jedem Meter, den ich mich hier vorankämpfe.
Wenn ich daran denke, dass dieser Mann vor nunmehr zweihundert Jahren
diesen Weg entlanggezogen ist und mit der Ausrüstung, die sich
damals sicher nicht mit unserem Schuhwerk messen konnte, dann ist
es mir eigentlich unerklärlich, wie die Burschen überhaupt
weiter gekommen sind.
Passeuska
das Tor zum Heiligen Berg
Ein
paar hundert Meter vor der Tarrekaisehütte umfängt mich
dichter, beinahe undurchdringlicher Birkenwald, der auch nicht gerade
zu meiner Erheiterung beiträgt. Hatte ich noch gehofft, dass
der Weg hinter der Tarrekaisehütte besser werden würde,
so sehe ich mich enttäuscht. Die Tarrekaisehütte ist übrigens
winzig - nur ein Raum ist offen mit gerade zwei Betten.
Erst
eine Stunde hinter Tarrekaise ist eine leichte Veränderung
festzustellen, wenn links hoch oben im Berg der Passeuska auftaucht.
Ein Felstentor, das von den Samen als Opferplatz Verwendung fand.
Auch einen Wasserfall gibt es zu sehen.
Ein
letzter Blick auf den Ausfluss des Sees, an der gegenüberliegenden
Seite des Tales fallen mir die Birkenwälder auf, die noch Blätter
tragen, ganz im Gegensatz zum Wald am Virihaure, wo der Herbstwind
bereits die Birken zum Grossteil ihres goldenen Schmuckes beraubt
hatte.
Die
Beschaffenheit des Wegs macht, dass ich kaum mehr zum Schauen komme,
da ich höllisch aufpasse, bloss nicht auf einem der spitzen
Steine auszurutschen und mir jetzt am vorletzten Tag noch den Fuss
zu verstauchen.
Eine
letzte Steigung und kurz vor dem Erreichen der Berghöhe ein
letzter Blick zurück ins Tarratal und zum Staikafjäll.
Nach Überschreitung der Anhöhe geht der Blick bereits
ins Kvikkjokkfjäll. Jetzt kann es nicht mehr lange dauern und
ich bin bei der Njunjeshütte. Da ist sie auch schon im Tal
zu sehen. Der Weg geht steil bergab, wieder viele Steine, aber jetzt,
mit dem Ende dieser Etappe vor Augen, lässt sich dieses Hindernis
nicht mehr gleich schlimm an
Die
Jäger von Njunjes
Bei
der Hütte angekommen, empfangen mich die neugierigen Blicke
zweier älterer Männer. Samen nach der Statur zu schliessen,
Jäger, nach den Jagdflinten, die sie malerisch an der Wand
plaziert haben. Ja, sie seien hier zur Jagd. Was sie denn abschiessen
wollen? Och, alles was ihnen vor die Büchse läuft. Ob
ich denn Elche gesehen hätte. Ja, in Såmmarlappa. So
weit weg? Es ist mitten am Tag - da bist du ja ganz schön gelaufen.
Trink
eine Tasse Kaffee, dann schaffst du es noch heute bis Kvikkjokk.
Wirklich? Das sind doch noch elf Kilometer. Ja, aber ein ganz super
schöner Weg. Die reinste Autostrada, pflichtet ihm der Kollege
bei. Schön langsam kriege ich das Gefühl, die beiden alten
Knacker wollen hier allein ihrem Hobby nachgehen. Wer weiss, was
die wirklich jagen wollen. Der eine der beiden hat sich einen richtigen
Bunker eingerichtet. Am Fenster liegen mehrere Gucker und auch aufs
Dach ist die Leiter angelegt.
Sie
brauchen mich nicht lange überreden. Ehe ich noch eine Nacht
in einer Hütte zubringe und vor allem einen langen Nachmittag
und einen langen Abend in Gesellschaft der beiden verbringe, mache
ich mich lieber auf die Socken. Die beiden nehmen meinen Entschluss
erfreut zur Kenntnis. Schau dir die Bärenspuren genau an, das
ist ein ausgewachsener Bursche, ruft mir der eine noch nach, während
er seinen Pfriem Kautabak geniesserisch von der Oberlippe in die
Wange und wieder zurück schiebt.
Ich
kann es mir nicht verkneifen und frage ihn, ob ich sein Gewehr mal
in die Hand nehmen darf. Na klar, meint er. Das Zielfernrohr hat
er auf den Ofen gelegt, weil irgendwann einmal Wasser reingekommen
ist. Es ist so heiss, dass er es kaum anfassen kann. Das Wasser
wird kaum verdampfen, stelle ich mir vor, aber da bin ich auch schon
draussen.
Immerhin,
die beiden haben recht gehabt. Der Weg nach Kvikkjokk ist wirklich
herrlich zu gehen. Hier ist auch schon das Sommerhaus der Nachkommen
des Reisekatecheten Olov Isaksson Holmbom. Auch das erste Privatschild
und die Spuren auf dem breiten Weg zeugen davon, dass Holmboms einen
jener vierrädrigen Motorschlitten verwenden, um ihre Nachschub
hierherzutransportieren.
Ebener
Waldboden, riesige Fichten und Kiefern, es ist nachgerade ein Genuss
zu wandern. Sieh da, da ist doch glatt einer blossfüssig gegangen.
Komisch. Da ist die Spur wieder. Merkwürdig, dass er so tief
eingesunken ist. Das wird doch nicht etwas die Bärenspur sein,
von der die beiden gesprochen hatten?
Egal.
Ich haste weiter. Jetzt geht es wirklich im Eilzugstempo dahin,
denn der Bus von Kvikkjokk geht meines Wissens um fünf. Und
da heute Freitag ist, muss ich diesen Bus erwischen, sonst kann
ich warten, bis Montag oder nochmals vierzehn Kilometer anhängen
bis Årrenjarka. Und das wird selbst mir zu viel.
Ich
glaube, ich bin in meinem ganzen Leben noch nie elf Kilometer so
schnell gegangen. Da bin ich auch schon an der Bootsanlegestelle.
Von hier sollte ein Pfad direkt weiter nach Kvikkjokk führen,
hatten die beiden gesagt. Ja, da ist er auch schon, am Fluss entlang.
Ein
Rascheln hinter mir veranlasst mich, den Kopf zu wenden. Unglaublich.
Da krabbelt doch der grösste Elchbulle, den ich in meinem ganzen
Leben gesehen habe, keine fünf Meter hinter mir den Abhang
hinauf. Er ist genauso verdutzt wie ich, fasst sich aber schneller
und ist mit einem Sprung im nächsten Gebüsch verschwunden.
Und das eine Woche nach der Elchjagd!.
Keine
nassen Füsse am Kamajåkkå
In
Kvikkjokk angekommen, überlege ich, ob es sich auszahlt, den
Kamajåkkå zu furten. Zugegeben, es ist wenig Wasser,
aber immer noch mehr als bei irgendeiner anderen Furt der letzten
Tage. Wenn ich mir das so recht anschaue, dann würde ich also
hier, so gut wie am Ziel, mir nasse Füsse holen. Nein, dann
lieber winken und rufen. Ah, da drüben am anderen Ufer steht
einer. Hallo, kannst du mich sehen? Er kann und verschwindet hinter
einem Haselstrauch. Kurze Zeit später wirft ein anderer Mann
in seinem Boot den Motor an und nimmt Kurs zu mir herüber.
Björn
Sarstad ist es, der mich holen kommt, in allerhöchsteigener
Person. Meine beiden Kameraden vom Bus nach Ritsem hatten mir von
ihm erzählt. "Ein Superbursch, ein richtiges Original",
hatten sie gesagt. Ein Blick in das offene Gesicht mit den breiten
Backenknochen und den blitzblauen Augen, die grundehrlich dreinschauen,
sagt mir sofort, auf den Burschen kannst du dich verlassen. Daher
mache ich ihn auch gleich aufmerksam, dass ich die Fähre eigentlich
erst am nächsten Tag bestellt hatte.
Ja,
ich weiss, meint er, da kommt auch noch ein deutsches Paar mit einem
Hund. Ja, richtig, um vier Uhr. Super. Und du kannst ihnen sagen,
ich bin schon in Årrenjarka. Klar, macht er. Und als ich dann
noch beim Bezahlen ein paar Kronen zu wenig dabei habe, winkt er
nur grosszügig mit der Hand, kein Problem, das zahlst du, wenn
du wiederkommst.
Bei
so einem Empfang nach einer Woche Wildnis wird einem warm ums Herz
und ich denke mir: Da hast du recht, ich komme sicher wieder.
Last
Updated: Donnerstag, 4. September 2008
Copyright 1999-2008 Dr. Eduard Nöstl
ISDN
1101-9840
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