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Värmland

Bemerkungen über den menschlichen Genius

Künstler, Gutsherren und Gelehrte

In Arvika hat sich mit der Rackstadgruppe zur Jahrhundertwende eine Künstlerkolonie niedergelasssen, die in Schweden der Nationalromantik Ausdruck gegeben haben. In Arvika angekommen, fahren wir beim Kreisverkehr links und folgen dem Schild Rackstadmuseum/ Oppstuhage.

Von Eduard Nöstl


Oppstuhage ist der Name eines kleinen Gebäudes, in dem der Kunsttischler und Bildhauer Christian Eriksson seine Bleibe gefunden hat. Christian Eriksson hatte sich hierher zurückgezogen, als es ihm im mondänen Paris zuviel geworden war. Er und seine schöne Frau Jeanne Tranmcourt, von Künstlerkollegen liebevoll als "Orchidee im Kartoffelacker" apostrophiert, schufen sich hier ein Atelier, wohin sich auch andere Künstler wie Gustaf und Maja Fjaestad 1898, oder Björn und Elsa Ahlgrensson ein paar Jahre später, sowie Fritz Lindström 1903 zurückzogen, wenn sie nicht gerade von Aufträgen in die Metropolen Schwedens gerufen wurden.

"Komm sofort hierher, ich habe den schönsten Platz auf der Welt gefunden und zwar in Arvika am Rackensee. Was ist schon Italien dagegen!" So lyrisch beschrieb Gustaf Fjaestad das neue Künstlerzentrum, als er in Stockholm auf Björn Ahlgrensson stiess, der gerade aus Paris zurückgekommen war und sich mit Künstlerkollegin Elsa Lindström verlobt hatte.

Ein lustiges Leben mit frohen Festen und hartem Schaffen begann in Arvika. Einigen Künstlern war es vergönnt, zu Lebzeiten ins Walhalla der Künstler aufzusteigen, Christian Eriksson etwa, der als Möbeltischler begann und als gefeierter Bildhauer den Höhepunkt seiner Karriere erreichte. Andere, wie Björn Ahlgrensson sollten erst spät, zu spät, zu Ruhm und Ehren kommen. Sein Bild "Skymningsglöden", "Abenddämmerglut", zierte erst 80 Jahre nach seinem Entstehen das Titelblatt des Katalogs für die Ausstellung "Northern Light" des Nordischen Museums.

Bogenschütze in Rottneros/VärmlandHier im Rackstadmuseum kann sich der moderne Besucher ein Bild von dem machen, was unter der Bezeichnung Nationalromantik oder Kunst der Jahrhundertwende in die schwedischen Annalen Eingang gefunden hat - und alle, denen noch nicht das Gefühl für echte Kunst abhanden gekommen ist, werden sich hochbefriedigt zeigen über das, was hier geboten wird.

Nach diesem packenden Kunsterlebnis fälIt es schwer, von Rackstad Abschied zu nehmen, doch wir können uns eigentlich frohgemut auf den Weg machen: Rackstad war erst das Preludium zu den folgenden Genüssen, die im verwunschenen Märchenparadies Värmland noch auf uns warten: Rottneros und Mårbacka. Daher nehmen wir mit einem entspannten Lächeln der Vorfreude auf den Lippen wieder Platz und harren gespannt der Dinge, die da kommen werden.

Zuerst tut uns die Natur einen Gefallen, indem sie unsere Seelen in die richtige Schwingung versetzt, um den betörenden Atem Värmlands in uns aufnehmen zu lernen. Weite Wälder tun sich auf, vor den Autofenstern scheinen Trolle und Elfen in der beginnenden Dämmerung einen seltsamen Tanz aufzuführen, während wir uns sachte, sachte an das berühmte Frykental heranpirschen. Sogar der Motor scheint in dieser unendlich klaren Luft besser zu funktionieren, denn immer leiser werden die Motorengeräusche, und schon bald hat uns die Natur ganz eingewebt in ihren ewigen Schleier.

Auf der Frykdalshöhe bleiben wir stehen und die Aussicht läutert die Sinne. Nebel wallen vom Frykensee zu uns herauf, die Fichten neigen ihr Haupt vor dem lebenspendenden Wasser. Das Herz weitet sich und mit einemmal sind wir uns bewusst, dass das Leben nicht umsonst ist, dass der Sinn des Lebens im Schauen liegt, im Einswerden mit der Natur.

Nicht in der Gegnerschaft, sondern im Verstehen liegt das Geheimnis der Blauen Blume gegründet. Wir können uns glücklich schätzen, diese Weisheit hier im tiefen Wald Värmlands verstanden und - hoffentlich - verinnerlicht zu haben.

Von der Frykdalshöhe kommen wir nach einigen Serpentinen bei KM 61 auf den "Inlandsvägen", also die Inlandsstrasse, die nichts anderes ist als die allen Nordlandfahrern altbekannte Bundesstrasse 45. Unser Ziel ist Sunne, ein an sich recht anspruchsloser Ort, der durch den Rottneros Park berühmt geworden ist. Bei KM 69 stehen wir vor den Toren von Rottneros.

Zum Staunen vor menschlicher Grösse

Rottneros ist beeindruckend auf eine monumentale Art, die uns stolz macht, zur Spezies Mensch zu gehören. Das gleiche Gefühl des Staunens vor menschlicher Grösse mag Alexander den Grossen erfüllt haben, als er staunenden Blicks vor den weissen Marmormauern des Taj Mahal stand.

Exponate der RackstadgruppeRottneros ist Park gewordener Ausdruck menschlicher Schaffenskraft, wie sie eindrucksvoller nicht sein könnte. Wie viele andere schöne Stellen in Schweden sonst auch ist Rottneros ein Herrenhof, erbaut vom Gutsherren und Industriellen Gustav Adolf Wall. Ein eindrucksvolles Gebäude, gewiss, auch die beiden Kavaliersflügel sind durchaus nett anzusehen - doch was Rottneros eigentlich ausmacht, das sind die in Stein gehauenen Denkmale, die Zeugnisse bedeutender Künstler und ihrer Brüder im Geiste, den Gartenarchitekten, die die Skulpturen zierlich und anmutig, je nach Wucht und Eindruck, einmal vereinzelt, dann wieder in Gruppen, in dem weitläufigen Park verstreut angeordnet haben.

Es gibt kaum einen bedeutenden schwedischen Bildhauer, der nicht mit einem oder mehreren Werken hier vertreten wäre: Carl Milles etwa oder Christian Eriksson, aber auch ausländische Bildhauer sind mit ihren Exponaten vertreten, allen voran Jean Goujon, ein hervorragender Vertreter der Schule von Fontainbleau, dessen geradezu überirdisch schöne Diana aus Anet gleich linkerhand neben dem Eingang zu bewundern ist.

Weiter zum Herrenhaus hin thront Christian Erikssons „Bogenschütze" auf einer Säule und hinterlässt beim Betrachter einen unauslöschlichen Eindruck. Es ist nicht so sehr die Kraft des Mannes, die dieses Kunstwerk so faszinierend macht, als die Bravour, mit der Christian Eriksson den Menschen so darstellt, wie wir uns selber gerne sehen: als Herren der Schöpfung, als siegessicheren Kämpfer, dem jedes Vorhaben gelingt, der auch die grössten Hindernisse überwinden wird. Dabei werden wir den Bogen als Allegorie für alle Schwierigkeiten zu verstehen haben, die sich dem Menschen im Laufe des Lebens in den Weg stellen können. Ein strahlender, kühner Sieger, ein Mensch, der sich bewährt, der im Bewusstsein seiner Kraft und Intelligenz immer wieder einen Ausweg auch aus den verfahrensten Situationen zu finden weiss. All das ist Christian Eriksson gelungen, in dieser einen Figur einzufangen.

Nicht die menschliche Kraft, sondern die göttliche Verführungskunst beschwört Carl Milles in seinen Figuren am Orpheusbrunnen, deren langgezogene Frauengestalten an Modigliani erinnern, sich aber von dessen Figuren durch ihre laszive erotische Ausstrahlung abheben.

Zwischen dem Diesseits und dem Jenseits schwebt die Nike von Samotrake, ein Abguss des Originals aus dem Louvre, die sich hier gleichsam bereits zwischen Erde und Himmel befindet - abgehoben, befreit von den Sorgen des irdischen Daseins, die Schwerkraft hat sie bereits abgeschüttelt auf dem Weg in himmlische Gefilde.

Durchaus menschlich, sowohl was die Entstehung, als auch die Ziele seiner Kunst betrifft, ist Per Hasselberg, das künstlerische Vorbild für Christian Eriksson und Carl Eldh. Seine Figuren verströmen den benühmten Duft der Frauen und der Skulpteur lässt seine Figuren gleichsam nackt und bloss in ihrer totalen Diesseitszugewandtheit vor den Blicken des Betrachters paradieren. Vor allem "Schneeglöckchen" ist die personifizierte Versuchung, während "Seerose" bereits allzu vielen Versuchungen erlegen ist und ihren breiten, brünstigen Leib jedem anzubieten scheint, der des Weges kommt.

Bleibt nur noch zu berichten, dass das Herrenhaus von Rottneros das Ekeby in der Gösta Berlings Saga der Selma Lagerlöf ist, und schon ist der Bogen zum nächsten Besuchsziel geschlossen. Über Sunne geht die Fahrt weiter Richtung Mårbacka.

Zwei Romane vor allem haben Selma Lagerlöf gross und berühmt gemacht. "Gösta Berlings Saga" und "Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen". Zwei weit auseinanderliegende Themen möchte man meinen, und erst auf den zweiten Blick wird der Zusammenhang zwischen den beiden Werken klar: Der Kitt im Schaffen der Selma Lagerlöf ist die Liebe zur Heimat, ist die Liebe zu Värmland. Zu jenem Värmland, wie sie es als Kind hier in Mårbacka, im Schoss der geschichtenerzählenden Grossmutter erleben durfte. Denn während die anderen Kinder im Hof umhertollten, musste die kleine Selma, die mit drei Jahren ein Hüftleiden ereilt hatte, sich in der Welt der Erwachsenen zurechtfinden.

Ebenso wie etwa ein Somerset Maugham oder Lord Byron erst durch ihre Gebrechen, Maugham stotterte und Byron hatte einen Klumpfuss, zu grossen Schriftstellern wurden, so ist in Selma Lagerlöf wohl durch dieses Ausgesetztsein jene Reife entstanden, die ihr später ermöglicht hat, ihre Phantasien in romantische und gleichwohl mitreissende Bücher zu verwandeln. Während bei Somerset Maugham der Genius nicht selten in Zynismus ausartete und die Menschenliebe im Keim erstickte, und Lord Byron von vornerherein Eroberung und Sieg auf seine Fahnen schrieb, behält in Selma Lagerlöfs Schaffen der weiblich romantische Einfluss die Oberhand. Sie wird nicht zynisch, sondern verzeiht, sie wird nicht engstirnig, sondern tolerant, und wo Männer blind dreinschlagen, findet sie die weibliche Lösung des Verständnisses.

Diese Gaben haben ihr wohl mehr als ihr schriftstellerisches Talent zum Nobelpreis verholfen. Übrigens hat Selma Lagerlöf nie geheiratet, sondern ist hochbetagt hier auf Mårbacka verstorben, und liegt auf dern Friedhof von Östra Ämtervik begraben. Mårbacka selbst präsentiert sich heute noch genauso, wie es zu Lebzeiten der Dichterin ausgesehen hat. Auf Marbacka weht der Wind der Vergangenheit, herrscht der Geist einer grosszügigen, toleranten und weltoffenen Frau, die ihrer Zeit in wohl mehr als einer Hinsicht voraus war und auch uns heutigen Toleranz und Verständnis füreinander abzuringen versteht. Viele dieser positiven Eigenschaften sind auf die Umgebung zurückzuführen, die Selma Lagerlöf geprägt hat. Das Frykental und die Berge und Wälder rundherum.


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Last Updated: Dienstag, 2. September 2008
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